Paolo Spadini kam 1928 zur Welt. Sein Wirken hat die Welt der Digitaluhr nachhaltig geprägt.
Spuren der Familie Spadini: Wurzeln und Herkunft
Die Familie Spadini ist ursprünglich in Selma im Val Calanca, dem Calancatal im italienischsprachigen Teil des Schweizer Kantons Graubünden, ansässig. Die Region war ursprünglich ein recht armer Teil der Schweiz. Aber einer der Vorfahren von Spadini schaffte es, als Schweizergardist nach Rom abberufen zu werden. Dieser Vorfahr kaufte sich dann später ein Bauerngut in Umbrien.
Diese Emigration kehrte sich durch Spadinis Großvater wieder um, diesen zog es nämlich wieder in die Schweiz. Obwohl er hier die Linoleumfabrik Giubiasco federführend mit ins Leben rief, blieb er italienischer Staatsbürger. Sein Sohn Aminone (Jahrgang 1889) blieb ebenfalls Italiener. Daher sollte er 1914 mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges seinen Dienst in der italienischen Armee tun, verweigerte dies aber, indem er in der Schweiz blieb. Daher galt er in der italienischen Heimat als Landesverräter und durfte bis 1945 nicht einreisen. Seine Braut erwirkte schließlich, dass er sich in Morcote einbürgern ließ. Hier wurde er Vertreter für Produkte aus dem Bereich Elektrotechnik.
Paolo Spadinis Kindheit und Jugend
Im Jahr 1928 wurde Paolo als Sohn von Aminone Spadini geboren. Er galt als überragend intelligent, erwarb spielend neue Fertigkeiten und glich Wissenslücken durch eine messerscharfe Kombinationsgabe und Analytik aus. In der Schule allerdings hielt man ihn für faul. Sein Interesse galt nicht den gestellten Aufgaben, sondern z. B. dem Murmelspiel, das er so meisterlich beherrschte, dass er seine Freunde auf diesem Gebiet schnell überragte. So besserte er sein Taschengeld mit selbst erworbenem Geschickt merklich auf. Die Eltern verfolgten diese Entwicklung eher skeptisch und schickten ihn schließlich auf ein Benediktiner-Kolleg in Altdorf. Spadini selbst hat diese Zeit in keiner guten Erinnerung. Zu hart war die Umerziehung, die man ihm hier angedeihen ließ. Jeden Morgen pünktlich um 5:30 Uhr aufzustehen, war nichts für ihn. Auch das karge Frühstück und das Beten, das in der Kirche stehend bis 10:00 Uhr zu verrichten war, lagen ihm wenig. Die Maxime schien hier der Gedanke der Schuld zu sein und die Sündhaftigkeit aller geschlechtlichen Bedürfnisse.
Spadini begriff schnell: Nur seine Talente, die er in Arbeit umsetzen musste, konnten ihn retten. Er lernte auf eigene Faust so intensiv, dass er die Klasse überspringen durfte und schon mit 17 das Abitur schaffte. Es folgte das Studium der Jurisprudenz in Bern, das er mit nur 23 Jahren erfolgreich als Doktor abschloss.
Wie wurde der Jurist Paolo Spadini Uhrenhersteller?
Letztlich war es ein reiner Zufall, der Spadini zum Uhrenfabrikanten werden ließ. Schon einer der frühen Klienten in seiner anwaltlichen Kanzlei war es, der schnell ins Ausland flüchten musste – wegen eines Zollvergehens galt es für ihn, dem Zugriff des Schweizer Rechts zu entkommen. Spadini gab seinen Namen nie preis. Er konnte ihm ein Visum für Kolumbien verschaffen, weil er schon seit dem Studium mit Angehörigen der kolumbianischen Botschaft befreundet war. Spadini galt als ihre Vertrauensperson, besonders in Fällen, in denen ihnen eine Vaterschaftsklage einer Freundin drohte. Spadini gab dem Anonymus, den er Giovanni nannte, den Rat, in Bogota in den Handel mit Souvenirs einzusteigen. Uhren, so Spadini, die das Konterfei des damaligen Präsidenten Rojas Pinilla zeigten, seien genau das Richtige.
Es steht zu vermuten, dass Spadini dies nicht ganz ernst meinte oder sehr spontan sagte. Giovanni allerdings sandte ihm 14 Tage nach seiner Abreise schon geeignete Fotos des Präsidenten, zusammen mit Bestellungen aus Bogota. Mit dabei waren auch Akkreditive, also die Möglichkeit, per Bank über bestimmte Geldbeträge zu verfügen. Da Spadini sich nun die Möglichkeit eröffnete, mit Uhrenfakturen zu verhandeln, musste er an seine Außendarstellung denken. Er druckte einfach Briefpapier mit dem Aufdruck „NEPRO – New Products“. Somit war die Geburtsstunde der Firma Nepro 1951 in La Chaux-de-Fonds.
Die Zifferblätter mit dem Bild des Präsidenten ließ Paolo Spadini im Jura herstellen, diese wurden dann in recht preisgünstige Uhren aus verchromtem Messing eingebaut. Damit war die Sensation perfekt: Die „Reloj del Presidente“ wurde ein durchschlagender Erfolg und erschien in Tausenderserien. Die Diktatoren in der Nachbarschaft Kolumbiens entdeckten dieses Souvenir schnell und wollten nun ebenfalls solche Uhren mit ihrem Bild darauf. Dabei gab es aber auch Schwierigkeiten zu meistern. Der Venezuelanische Präsident Perez Jimenez ernannte sich selbst zum General und trug statusbewusst weiße Uniformen. Die Zifferblätter für die Uhren waren bereits in Khaki gefertigt worden – und mussten daraufhin neu produziert werden. Spadini nahm auch diese Hürde erfinderisch: Er druckte die Bilder der Präsidenten auf durchsichtige Kleber, die dann innenseitig auf das Uhrenglas aufgeklebt wurden. Auch in Zukunft benutzte Spadini das Uhrenglas als funktionales und ästhetisch reizvolles Element in seinen NEPRO-Uhren.
Spadinis weitere Entwicklung in der Uhrenherstellung
Eine Begegnung, die Spadini nachhaltig prägte, war die mit Gina, einer jungen Polin, die den Zweiten Weltkrieg aufgrund ihrer jüdischen Herkunft voller Angst erlebt und sich in Davos von einer Tuberkulose erholt hatte. Fasziniert von dieser Frau, erging sich Spadini in wiederholtem Werben um sie. Da sie nach ihrem Kuraufenthalt in Bern in einem Spital arbeitete, verlegte Spadini seine Uhrenmanufaktur ebenfalls dorthin, um sein Werben fortzusetzen – aber Ginas Chefin riet der Angebeteten leider ab. Gina zog nach La Chaux-de-Fonds um. Spadini fuhr nun also auch regelmäßig dorthin und nahm schließlich eine Stellung bei dem ortsansässigen Uhrenhersteller Vulcain an. Hier setzte er seine Erfolgsserie mit den Cricket-Uhren fort, die einen Alarm-Ton hatten, der an das Summen von Grillen erinnerte. Im Jahr 1956 heiratete er Gina.
Mit der Geburt seines Sohnes Daniel 1958 änderte sich nicht nur sein privates Leben, er machte auch seine wichtigste Erfindung: den Rotocontact. Mit ihm konnte Spadini jede Uhr mit einem Alarm ausstatten und sie zur Schaltuhr machen. Als 1959 Sony die ersten Transistorradios auf dem Markt brachte, die mit Batterien zu betrieben werden konnten, ließ auch Spadini bei Toshiba solche Radios bauen und integrierte eine seiner Schaltuhren in jedes Gerät. Diese Radiowecker wurden ein Riesenerfolg in USA. Nach einer zweijährigen Tätigkeit bei Bulova verkaufte er eine ganze Bandbreite von schönen Miniaturweckern, nun wieder unter dem Namen „NEPRO“. Auch der kleinste Wecker der Welt geht auf sein Konto. Spadini entwickelte Armbanduhren mit Alarm, die er „Memotron“ nannte später die Reihe „Elevox“, die das Uhrenglas als Resonanzfläche nutzte.
Die Digitaluhr: ein Siegeszug und sein jähes Ende
Die US-amerikanische Firma Microma fabrizierte 1972 die ersten Elektronikmodule und Anzeigen mit Flüssigkristallen für Digitaluhren. In Kooperation mit INTEL stellte Spadini 1973 (als erster schweizerischer Hersteller) mit großem Erfolg eine digitale Armbanduhr dem europäischen Publikum vor. Ab 1974 zeichnete er für die ersten in der Schweiz hergestellten Digitaluhren verantwortlich, die für den europäischen Markt bestimmt waren.
Danach ging es für Spadini bergab: 1974 erkrankte seine Ehefrau an Krebs. Trotz Therapie in Bern und Spadinis konsequenter Anwesenheit an ihrem Krankenbett starb Gina. Um den Schmerz zu überwinden, stürzte sich Spadini danach wieder in die Arbeit. Im Jahr 1976 gründete er MSA SA, La Chaux-de-Fonds, eine Firma, die ausschließlich digitale Uhrenmodule herstellte. Unterstützt wurde Spadini dabei von Micro Power System in Kalifornien, die zu SEIKO gehörte. MSA SA wurde aber 1978 ein Opfer des Zusammenbruches am Markt für Digital-Quarzuhren. Ausgelöst wurde diese Krise durch einen desaströsen Preiskampf der Uhrenhersteller aus Fernost, der den Preis von rund 300 Dollar auf schließlich 3 Dollar und weniger drückte. Spadini erlebte seine Pleite und musste allen Mitarbeitern kündigen.
Erst 1987 gelang Spadini der Wideraufstieg, als die Firma Swarovski aus Österreich ihm den Auftrag gab, Uhrwerke zu bauen für ein Tischuhrgehäuse aus Kristallglas. Auch hier ließ sich Spadini etwas Besonderes einfallen: Er machte das Uhrglas zum „Drücker“, damit man mit diesem über elektronische Kontakte die Zeiger stellen konnte („Magic Touch“). Es folgten mehrere Uhrenmodelle, z. B. „Art in Time“, bei dem das Gehäuse und das Zifferblatt als Modell des römischen Kolosseums dienten oder „Time is Money“. Dieses Modell besitzt drei kleine Uhren mit der Zeit der Börsen in Tokyo, New York und London.
1995 musste NEPRO seine Pforten leider schließen. Spadinis Sohn Daniel allerdings befand, es sei zu bedauerlich, diese Erfolgsmarke einfach untergehen zu lassen. Daher werden unter dem Label „Nepro Miniswiss“ weiterhin Uhren gefertigt.
Bekannteste Uhren: Nepro Minivox, Mosquito, MINISONIC
Minivox aus dem Jahr 1961
